Ich hatte nicht lange Zeit dazu, in die überraschten Gesichter der Traumerscheinungen zu sehen. Denn schon kurze Zeit, nachdem ich zu ende gesprochen hatte, zersprangen die Wesen und auch die Umgebung um mich herum, wie ein Spiegel, den man mit einem Stein eingeworfen hatte. Das laute Scheppern, der umher fliegenden Splitter, schmerzte in meinen Ohren, und so presste ich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hände auf das Gehör. Als ich die Augen nach kurzer Zeit wieder öffnete, fand ich mich in einer unheimlichen Schwärze wieder.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du es aus der Traumwelt hinaus schaffst. Ich habe dich wohl wirklich unterschätzt, Stela Bäsescu.“ drang plötzlich eine raue Stimme, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte, durch die Dunkelheit. Als ich einige Schritte mit ausgebreiteten Armen, vorwärts machte, stieß ich auf einmal auf eine Wand. Ich tastete mich wie ein Blinder an ihr entlang und fragte mit schallender Stimme: „Wer spricht da!? Zeig dich!“ Als ich zu ende gesprochen hatte, entzündeten sich plötzlich alle Kerzen und Kronleuchter im Raum, wie von Geisterhand, mit einem lauten Knall. Ich befand mich mitten in einer großen Halle, und die Wand, an der ich mich vor wenigen Augenblicken noch vorwärts getastet hatte, waren nicht die Umrisse dieses Raumes, sondern das alte Gemäuer einer kleinen Gruft, die in mitten der Räumlichkeit erbaut worden war. Sofort zog ich meine Hände von dem kalten und nackten Stein fort, und legte sie auf meine Brust, in der mein Herz wild schlug. Mit hallenden Schritten, ging ich über die alten weißgrauen Marmorplatten und sah mich weiter um. Vor allen Fenstern waren dicke, schwere Vorhänge gezogen, die keinen einzigen Lichtstrahl hindurch ließen, und die Decke des Raumes war so hoch, dass ich mir fast schon etwas verloren vor kam. Über die Kronleuchter, die weit oben, über meinem Kopf hingen, hatte man goldene und rote Seidentücher gelegt, und so wurde alles in ein sanftes golden rotes Licht getaucht. Auf einer Erhöhung im Boden, standen zwei Stühle, die fast schon einem Throne ähnelten. Auf einem der Beiden, saß eine wunderschöne Frau, mit langem blonden Haar und stechend blauen Augen. Ihre Haut war fast so weiß wie der Schnee und ihre Lippen waren rot wie Blut. Auf dem Kopf trug sie eine seltsame Krone, und damit sah sie fast wie eine Königin aus.
Einige Meter vor ihr, stand ein riesiger Mann. Sein Gesicht, ich hatte es bereits schon einmal gesehen, doch ich konnte mich einfach nicht daran erinnern, wann und wo, dies gewesen sein soll, egal wie sehr ich mein Gehirn anstrengte. Er hatte langes pechschwarzes Haar, und seine Augen gleichten denen, der blonden, zierlichen Frau. Doch in seinen Augen lag so etwas wie Hass, Gleichgültigkeit, Arroganz und sie schienen durch alles hindurch schauen zu können. Die Augen der Dame hingegen, sahen einfach nur willenlos aus. Seine Haut war weiß und seine Lippen hatten eine leicht rosige Farbe. Ein langer schwarzer Mantel umschlang seinen muskulös gebauten Körper, und er wehte ihm ein wenig hinterher, als er mit leisen, geschmeidigen Schritten, die der einer Katze ähnelten, auf mich zu kam.
„Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du es aus der Traumwelt hinaus schaffst...!“ „Sie wiederholen sich,...“ „Verzeih, mein hübsches Mädchen. Wo habe ich bloß meine Manieren gelassen? Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin der, wegen dem du hier bist. Mein Name ist Vlad Dracula, oder auch einfach nur Graf Dracula. Dies dort hinten ist Rosa...“ sprach der Schwarzhaarige grinsend, als er vor mich getreten war. Er verbeugte sich etwas vor mir, und sah mich mit seinem durchdringenden Blick an, seine Mundwinkel hatte er immer noch zu einem fiesen Grinsen geformt.
Mit einem scharfen Atemzug, wich ich einige Schritte vor ihm zurück und sah ihn entgeistert an. „Ich hatte mir Dracula, ganz anders vorgestellt...“ schoss es mir kurz durch den Kopf, als ich den Blick des Vampirs für einen Moment lang, erwiderte. Doch als ich begriff, welche Chance sich mir jetzt hier bot, biss ich die Zähne zusammen und knurrte leise. Dann machte ich einen Satz auf den Grafen zu, und stellte mich kampfbereit vor ihn. Plötzlich bemerkte ich jedoch, wie etwas warmes meine Wange hinunter lief. Ich strich mir mit der Hand über sie, und spürte ein schmerzendes Brennen. Als ich einen flüchtigen Blick auf meine Handfläche warf, sah ich, dass Blut an ihr klebte. „Eine der Scherben muss mich wohl vorhin verwundet haben...“ dachte ich und wischte mir mit einer kurzen Handbewegung die rote Flüssigkeit aus dem Gesicht. „Halt!“, rief Dracula plötzlich und hielt mir seine Klaue vors Gesicht., „Ich habe nicht vor gegen dich zu kämpfen! Ich möchte dir ein Angebot machen.“ Von Wut gepackt, schlug ich seine Hand fort und gab ihm lautstark zur Antwort: „Von euch nehme ich bestimmt keine Angebote an...“ „Hör mir erstmal zu, Stela. Wenn du den Rest deines Lebens, an meiner Seite verbringst, werde ich den Vampirfluch von deinem Vater nehmen und deine Freunde verschonen. Wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich dich nicht zu meinen Feinden zählen, außerdem habe ich eine Schwäche, für so hübsche Mädchen wie dich. An meiner Seite würde es dir gut gehen und dir würde an nichts fehlen. Ich würde dir alles geben... Alles was du willst.“, sprach der Graf und beugte sich etwas zu mir herunter., „Du hast vier Stunden Zeit...“, er streckte seine Arme nach mir aus, umklammerte mit seinen Fingern meine Oberarme und sah mich vergnügt an., „... Um dir das Angebot durch den Kopf gehen zu lassen. Wenn die Zeit um ist, erwarte ich eine Entscheidung von dir. Es wäre durchaus schön, wenn du meine neue Begleiterin werden würdest.“ Bewegungslos hörte ich mir sein Angebot an. Mir wurde beinahe schon schlecht, als er zu ende gesprochen hatte und ich kurz darüber nachdachte, was Dracula dort eben gesagt hatte. „Das ist Erpressung...“ murmelte ich leise, mit weinerlichen Stimme. „Mag sein, meine Schöne, aber denkt doch mal an deinen Vater, oder an Cosmin und Nyria. Es wäre doch sicherlich schlimm für dich, wenn einem von ihnen etwas geschehen würde, oder etwa nicht?“ Ich schluckte kräftig, um den riesigen Kloß, der in meinem Halse steckte, weg zu bekommen und nickte leicht, dabei starrte ich zu Boden. „Siehst du, wenn du dich dafür entscheiden würdest, für immer an meiner Seite zu sein, dann würde ich alle in Frieden lassen, die du liebst... Und ich würde dir alles geben...“ „Das was ich möchte, könnt ihr mir nicht zurück geben!“ brachte ich darauf nur hervor und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob sanft mein Gesicht an, bis ich ihm in die Augen sah. Ich zuckte bei dieser Berührung leicht zusammen, und legte meine Hand auf seinen Arm, dann bohrten sich meine Fingernägel in sein Fleisch. Schon nach ein paar Augenblicken, quollen kleine Blutperlen aus seinen Wunden und liefen schließlich seinen Arm hinunter. Unbeeindruckt, warf er einen kurzen Blick auf die blutenden Kratzer, dann sah er wieder mich an und sagte: „Glaub mir, es wäre das beste für alle...“ Seine Stimme klang ruhig und sanft. „Glaubt ihr wirklich, dass ich dabei zu sehen würde, wie ihr weiterhin Städte und Dörfer dem Erdboden gleich macht? Wie ihr Menschen tötet, Frauen versklavt und Kinder zu Weisen macht?“ „Vielleicht könntest du mich ja dazu bringen, damit aufzuhören.“ sagte er und lächelte. Anschließend sprach er weiter: „Vielleicht könntest du meinen Hass, auf alles und jeden, eindämpfen?“
„Was?...“ fragte ich irritiert, doch eine laute Stimme, die mir sehr bekannt vor kam, unterbrach mich und ließ mich zusammen zucken. „Nimm sofort deine schmierigen Pfoten von ihr, du Schwein!“ Als ich mir über die Schulter sah, erblickte ich Cosmin, dessen Kopf puterrot angelaufen war. Mit drei ausgereiften Schritten, kam er auf uns zu und zog mich in seinen Arm. „Hat er dir etwas angetan?“ fragte er besorgt und legte seine Hände auf meine Schultern. Ich schüttelte stumm mit dem Haupt und schlang meine Arme um seinen Bauch. Ich war so erleichtert, dass er endlich wieder bei mir war und mir seinen Schutz schenkte. „Ah, der Silberschopf! Du hast dir ziemlich viel Zeit damit gelassen, dich aus der Traumwelt hinaus zu kämpfen. Wundert mich, dass du es überhaupt geschafft hast...“ rief Dracula amüsiert und musterte uns beide. „Halt den Mund!“, schrie der Silberhaarige wütend und fuhr nach kurzer Pause fort, „Wenn du noch einmal Hand an sie legst, dann bring ich dich um!“ Der Schwarzhaarige lachte. „Warum wirst du denn gleich so Eifersüchtig?“ „Eifersüchtig? Ich bin überhaupt gar nicht Eifersüchtig!“ stritt Cosmin ab. Ich sah abwechselnd zu dem vor Wut zitternden Vampir, und zu dem Grafen. „Ach nein? Und warum hast du sie gleich von mir fort gezogen? Warum schreist du hier so rum... Und warum ist dein Kopf so rot vor Wut? Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht bist! Sonst würdest du ja wohl kaum so reagieren.“ „Ihr benehmt euch wie kleine Kinder!“ mischte ich mich ein und wartete schon darauf, was Cosmin nun sagen würde. Ich hatte damit gerechnet, dass er weiter den Grafen anbrüllen würde, doch er blieb still. Mit weit aufgerissenen Augen und mit geöffnetem Mund, blickte er die Vampirdame, die noch immer stillschweigend auf dem Thron saß, an. „Rosa...“ flüsterte er ungläubig, ließ mich los und ging einige Schritte auf die blonde Frau zu. „Bist du es wirklich?“ „Kennst du sie, Cosmin?“ wollte ich wissen. Doch eine Antwort bekam ich nicht.
Die Blonde lachte in einem dunklen Ton auf und hielt sich den Handrücken vor den Mund. „Du hast sicher nicht gedacht, dass du mich jemals wiedersehen würdest, habe ich recht, Cosmin?“ Der Angesprochene schluckte und antwortete: „Natürlich! Du müsstest längst tot sein...“ „Aber wie du siehst, bin ich quiekt lebendig. Mehr oder weniger...“ Der Silberhaarige wandte sich Dracula zu und fragte mit rauer Stimme: „Was hast du mit Rosa gemacht, du...“ „Kannst du dir das denn nicht selbst denken? Schau!“ fiel der Schwarzhaarige ihm ins Wort und zeigte mit seinem Zeigefinger, auf die immer noch grinsende Frau. Als Cosmin sie einige Zeit lang stumm ansah, weiteten sich seine Augen und plötzlich rief er: „Das hätte ich mir doch denken können! Eine Sklavenkrone... Du hast ihr die Krone aufgesetzt, sie damit willenlos und dann zum Vampir gemacht.“ Nach kurzer Pause sprach er weiter: „Und nur wegen dieser Krone..., hatte sie mich verlassen...“ Das Gesicht des Vampirs erhellte sich, als er diese Worte aussprach.
„Was hat das alles zu bedeuten?“ fragte ich mich still in Gedanken. „Wer ist sie und woher kennt Cosmin, diese Rosa?“
Zaghaft ging ich einige Schritte auf den Vampir zu und legte meine Hand auf seinen Oberarm. Kurz warf er einen Blick über seine Schulter, in meine Augen. „Wer ist sie,... Cosmin?“ Der Silberhaarige wollte gerade beginnen zu sprechen, doch der Graf unterbrach ihn. „Ihr seid mir ja ein paar Herzchen! Ich werde euch jetzt verlassen. Deine geliebte Rosa, kannst du haben, Silberschopf... Ich brauche sie nun nicht mehr. Egal, wie Stela sich entscheiden wird.“, sagte er und sah Cosmin mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen an, dann drehte er seinen Kopf zu mir und fuhr fort., „Denke daran, meine Kleine. Du hast nur vier Stunden zeit. Auf wiedersehen..“ Nachdem er der Blonden die Krone abgenommen hatte, wogegen sie sich heftig wehren wollte, es aber nicht schaffte, da sie nicht mal annähernd so stark war wie Dracula, löste er sich in Luft auf und verschwand. Rosa sackte im Thron bewusstlos in sich zusammen, als die Sklavenkrone von ihrem Kopf entfernt wurde. Sofort rannte Cosmin zu ihr und nahm sie besorgt in seine Arme. „Wach auf, Rosa! Was ist mit dir?“ Ab und zu verpasste er ihr ein paar leichte Ohrfeigen, doch auch das half nichts. Sie öffnete einfach nicht ihre Augen. Zögernd kniete ich mich neben die Beiden und suchte den Blickkontakt zu dem Silberhaarigen.
Als ich die Beiden so beobachtete, wurde mir klar, dass Rosa, Cosmins größte Liebe war, die ihn verlassen hatte und es schien so, als ob er immer noch Gefühle für sie hatte. Nach all den Jahren. Eine seltsame Leere machte sich in meinem Bauch breit, als er sie immer fester an sich drückte. Irgendwie gefiel es mir nicht, wie vertraut er mit ihr umging und dass sie in seinen Armen lag, denn viel lieber hätte ich seine Nähe gespürt. Mit einem Kopfschütteln, versuchte ich all die verwirrenden Gedanken, aus meinem Kopf zu vertreiben, doch es gelang mir nicht. Als ich mich wieder aufgerichtet hatte, murmelte ich mit zitternder Stimme Cosmin zu: „Wir können sie unmöglich hier alleine lassen... Ich schlage vor, dass du sie zur Villa de lune bringst. Dort ist Rosa in Sicherheit...“ Der Silberhaarige blickte mich erstaunt an. „Aber, ich...“ begann er, doch mit meinem Kopfschütteln brachte ich ihn dazu, dass er schwieg. „Es ist das beste, für euch. Ihr habt euch auch sicherlich viel zu erzählen, du und sie.“ Mit diesen Worten machte ich auf dem Absatz kehrt und lief, nachdem ich den Ausgang aus diesem Raum entdeckt hatte, davon.
Wohin ich rannte, wusste ich nicht. Ich wollte einfach nur aus diesem Raum hinaus, bloß fort von den Beiden. Warum beschäftigt er mich so? Mehr und mehr zog es mich zu ihm hin. Wieso schmerzte es mich so, zu sehen, dass er eine andere Frau liebevoll in seinen Armen hielt? Waren diese Gefühle, die ich für ihn empfand vielleicht mehr als nur Freundschaft? Tränen liefen meine Wangen hinunter, als ich darüber nachdachte, was ich zu Cosmin gesagt hatte. Ich sagte, er sollte mit Rosa gehen, doch wollte ich dies wirklich? Nein...
Als ich einen dunklen Gang entlang lief, konnte ich plötzlich laute und schnelle Schritte hinter mir hören. Flüchtig fuhr ich mir mit der Handfläche über die Augen und sah dann nach kurzen Zögern, über meine Schulter. Ich konnte sehen, dass im schwachen Schein des Mondes, etwas leicht silbern hinter mir glänzte. Es war Cosmin, der mir folgte und er war mir dicht auf den Fersen.
„Wa... Warum läufst du mir hinterher!?“ rief ich laut. „Weil du vor mir wegläufst, Stela!“ „Verschwinde! Lass mich!“ „Hättest du wohl gern.“ Die Schritte des Vampirs kamen immer näher und ich versuchte, noch etwas schneller zu laufen. Als ich am ende des Flurs ankam, und eine Treppe hinauf steigen wollte, spürte ich plötzlich eine Hand, die mich an meinem Oberteil zurück zog. In diesem Moment verlor ich das Gleichgewicht und stolperte die Stufen hinauf. Cosmin hatte ich während dem Sturz mit hinunter gezogen, und deswegen landete er auf mir. Doch als er seinen Körper etwas anhob, versuchte ich die Treppenstufen hinauf zu krabbeln.
„Du hast dir doch nichts getan oder? He, hier geblieben!„ sagte er und drehte mich auf den Rücken, damit er mir ins Gesicht schauen konnte. Seine Augen weiteten sich, als er die im Mondlicht, glitzernden Tränen bemerkte. „Du weinst?“ „Ja..., schlimm!?“ fauchte ich ihn an, als ich meinen Kopf zur rechten Seite drehte, um Cosmin nicht ansehen zu müssen. Doch dieser legte sanft seine Hand auf meine Wange und drehte ihn wieder so, dass er mir in die Augen schauen konnte. „Nein, aber warum weinst du?“ fragte er leise und sah mich mitleidig an. Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte ihm nicht sagen, weshalb ich weinte,... Dass es wegen ihm war. „Ist es wegen mir?“ fragte er schließlich, nachdem er einige Zeit lang einfach nur Stumm in mein Gesicht gesehen hatte. „Du... Solltest besser zurück zu R... Rosa gehen, und sie in Sicherheit bringen!“ stammelte ich daraufhin und versuchte mich wieder aufzurichten. Doch Cosmin hielt mich an den Oberarmen fest und drückte mich zu Boden. Er war so stark, dass ich gar keine Chance hatte, mich aus seinem Griff zu befreien. „Lass mich los, Cosmin! Du sollst mich los lassen...!“ „Stela, ich möchte aber nicht gehen... Ich will hier bei dir...“, er unterbrach sich kurz, redete dann aber weiter, „... Hier bei dir bleiben. Außerdem, hast du schon mein Versprechen vergessen? Ich versprach doch, dich nicht allein zu lassen.“ „Nein, ich hatte es nicht vergessen. Aber ich dachte, du hättest das alles nur so gesagt, um mich zu trösten.“ „Ich verspreche nicht einfach irgendwelche Dinge, wenn ich gar nicht vorhabe, dieses Versprechen zu halten. Wenn ich jemandem eines gebe, dann meine ich das ernst, und versuche es nicht zu brechen.“ Seine Stimme klang sanft und so beruhigend, gleichzeitig aber auch ernst und rau. Ich war froh das er mir gefolgt war und sagte, dass er bleibt. „Und was ist nun mit Rosa?“ wollte ich schließlich wissen und sah den Silberhaarigen fragend an. Er zuckte mit einem leisen Seufzen die Schultern und sprach: „Ich weiß es nicht. Falls sie sich stark genug fühlt, kann sie alleine zur Villa de lune gehen... Wenn nicht, dann muss sie wohl oder übel mit uns gehen, wobei sie uns bestimmt nur behindern würde. Sie ist nicht gerade der Typ, der viel aushält.“ „Cosmin,... Ich danke dir, dass du nicht gehst und bei mir bleibst...“ Der Blauäugige blickte mich überrascht an und sagte darauf: „Aber vorhin hast du noch gesagt, ich solle...“ Er sprach nicht weiter, stattdessen schloss er seine Augen kurz und lächelte leicht. Nach einigen Momenten, als er mich wieder ansah, lockerte er seinen Griff an meinen Schultern und legte eine Hand auf meinen Hinterkopf, die andere hatte er auf meine Wange gelegt. Dann zog er mein Gesicht an seines heran und unsere Lippen kamen sich immer näher. Ich schloss meine Augen, als ich schon seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte und als sich ein seltsames Kribbeln über meinen gesamten Körper ausbreitete. Meine Glieder begannen zu zittern, egal wie sehr ich auch versuchte, mich zusammenzureissen. Kurz bevor sich unsere Lippen auch nur fast berührten konnten, legte ich meine Hand auf seine, die er gerade eben auf meine Wange gelegt hatte. Doch plötzlich war ein seltsames Geräusch zu hören und wir schreckten auf. Fast gleichzeitig, blickten wir zum anderen ende des Gangs, zu der Tür, aus der wir vorhin heraus gestürmt waren.
„Was war das?“ fragte ich verkrampft. Cosmin ließ mich los und richtete sich seufzend auf, so das er über meinem Bauch kniete. „Ich weiß nicht. Vielleicht ist Rosa wieder zu sich gekommen... Wir sollten zurück zu ihr gehen.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging langsam zurück zu dem riesigen Raum, in dem sich die blonde und bewusstlose Vampirdame befand.
Etwas schwermütig, sah ich seinem Schatten hinterher, bis er schließlich hinter der Tür verschwunden war. Ich strich mir eine einzelne Haarsträhne hinter das Ohr und fuhr mir sanft mit den Fingern über die Lippen. Sie zitterten immer noch. „Wir hätten uns fast geküsst... Das war die Gelegenheit für ihn, und er versäumt sie?“ Ich kauerte mich auf die Stufe, zog die Beine an, umfasste mit den Armen die Schienbeine und stützte das Kinn auf die Knie. Ein leises Seufzen entwischte mir, als ich aus einem Fenster, hinauf zum runden Vollmond blickte. „Trotz aller Zärtlichkeiten, hat er meine Lage nicht ausgenutzt... Ich glaube, auch wenn er nicht dieses Geräusch gehört hätte, hätte er es sich doch anders überlegt. So plötzlich, wie er von mir abgelassen hatte und verschwunden war. Ob Cosmin etwas für mich empfindet?“
Einige Zeit verweilte ich dort und blickte betrübt hinaus. Es war eine regnerische Nacht und grauschwarze Wolken, bedeckten langsam den Mond, der hoch oben über den Bäumen stand. Die Regentropfen klatschten mit gedämpften Geräuschen, nacheinander auf das schmutzige Glas der Fenster. Der Himmel zuckte zusammen, und Blitze fuhren zischend zur Erde herab. Es donnerte und dröhnte.
Ich versuchte, klare Gedanken zu fassen, aber das einzige, woran ich denken konnte, war Cosmin. „Ach Mama, ich hätte ihn dir so gern vorgestellt.“ Mutter hatte immer gesagt, dass sie sich schon auf den Tag freute, an dem ich einen Jungen mit nach Hause bringen würde. Vater hätte hingegen sicher ungläubig gefragt: „Wa... Was!? Es gibt eiei... Einen anderen Mann, neben mir, der dich auch wirklich über alles in der Welt liebt!?“ Ja, dass hatten sie immer gesagt, wenn Horea mal wieder aus Spaß gesagt hatte, dass ich einen Freund hätte. So gern, hätte ich ihn euch vorgestellt, doch dazu werde ich nie eine Gelegenheit haben, nie mehr...
Ein schmerzliches Lächeln, schlich auf meine Lippen, doch es verschwand gleich wieder, als ein heller Blitz den Flur für einige Sekunden erhellte, und mich der darauf folgende Donner zusammen zucken ließ. Aus irgendeinem Grund, musste ich plötzlich an Nyria denken, die wohl noch immer, zusammen mit diesem Ethgar, gegen Assiru kämpfte. Sofort erhob ich mich von der kalten Treppenstufe und sah bestürzt zu Boden, während meine Augen weit aufgerissen waren und meine linke Hand auf meiner Brust ruhte. Ich konnte das Klopfen meines Herzens, bis in meinen Halse spüren und es schien fast so, als ob es jeden Augenblick aufhören würde, zu pochen.
„Oh nein! Wie konnte ich sie nur vergessen!? Sie hat sicher große Angst... Ich muss so schnell wie möglich zu ihr!“ Ohne zu zögern, begann ich wieder zurück zur Tür zu laufen, hinter der Cosmin verschwunden war. Meine Gedanken kreisten nun um nichts anderes mehr, als um die Weißmagierin.
„Ich hoffe, ihr geht es gut und sie ist wohlauf, wenn ich wieder bei ihr bin. Bitte lieber Gott, bitte, lass es Nyria gut gehen und pass auf sie auf. Bitte!“
Obwohl ich die Grauhaarige, noch nicht lange kannte, und wir bisher auch keine Zeit hatten, um uns viel voneinander zu erzählen, hatte ich sie trotzdem sehr lieb gewonnen. Außerdem hatte ich ihr gesagt, dass ich ihr dabei helfen würde, Fumé, ihren Liebsten zu finden.
Immer wieder, leuchtete der Himmel hell auf und das laute Grollen, das diesem aufdämmern folgte, ließ mich jedes mal aufs neue erzittern. Einige male, wäre ich fast über meine eigenen Füße gestolpert und gestürzt, da ich so schnell rannte, wie ich nur konnte. Doch um so schneller ich lief, um so weiter schien sich die Türe von mir zu entfernen. Es war ein grässliches Gefühl, zu laufen, immer weiter zu laufen, dass Ziel aber immer mehr aus den Augen zu verlieren, und das Gefühl zu haben, niemals anzukommen.
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