Carries komische Werkstatt
  Der dunkle Wald
 


Kapitel 2 - Der dunkle Wald

Ich betrachtete die kahlen Bäume, doch ich wagte es nicht, auch nur einen Schritt zu machen. Doch plötzlich verpasste der Graubärtige mir einen kräftigen Klapser auf den Rücken und ich schwankte nach vorn. „Nun geh schon, hab keine Angst.“ Er lächelte. „Der hat leicht Reden. Der muss das ja nicht machen und sein Leben aufs Spiel setzten!“ schoss es mir durch den Kopf und für einen Moment drückte ich die Schultasche noch etwas fester an mich. Für einen Augenblick sah ich auf die feuchte Wiese, dann gab ich mir schließlich einen Ruck und ging auf die Bäume zu. Doch als ich nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war, blieb ich erneut stehen. Ich schaute mich kurz um, winkte Radu noch einmal zu und dann ging ich weiter. Ich atmete tief ein und schloss für eine Weile die Augen. „Circle of the moon“ flüsterte plötzlich eine kaum hörbare Stimme, als ich mich zwischen die Bäume gestellt hatte und gerade weiter gehen wollte. Rasch riss ich die Augen auf und bemerkte, dass ich von einem dunklen, düsteren Schwarz umgeben war. Ich schaute in das Nichts um mich herum. Vor mir war auf einmal ein schwacher Lichtschimmer und immer wenn ich genauer hinsehen wollte, bekam ich das Gefühl, dass ich mit sehr hoher Geschwindigkeit auf dieses Licht zu sausen würde. Ich presste die Augenlider zusammen und rang nach Luft. Der Druck, der hier herrschte, drohte meinen Körper vollständig zu zerquetschen und nahm mir so den Atem. Nicht einmal mehr bewegen konnte ich mich. Denn jedes Mal, wenn ich die Arme ausstrecken wollte, wurden diese sofort wieder gegen meinen Leib gedrückt. Ich spürte deutlich, dass ich nicht mehr lange diesen Belastungen standhalten konnte, denn es kam mir so vor, als würde mir die Kraft geraubt werden und schon bald würde ich Ohnmächtig werden, es sei denn, ich würde vorher noch ersticken. Denn das Atmen fiel mir wirklich schwer.
Doch exakt auf den Punkt, stand ich plötzlich auf einem matschigen Weg, den ich nur schwer von weitem hatte erkennen können. Erschöpft ließ ich mich auf die Knie fallen und rang nach Luft. „Was für ein mächtiger Zauber muss dies gewesen sein? Er hat mich nicht nur hierher gebracht, sondern hätte mich vermutlich auch getötet, wenn ich noch länger in ihm gefangen gewesen wäre!“ schoss es mir durch den Kopf, während ich mich unsicher umsah.
Ich war von toten Bäumen und riesigen Felsbrocken umgeben. Graue Wolken bedeckten den Himmel und es nieselte etwas. Hinter mir befand sich eine dicke grau-grüne Nebelwand, aus der ich höchstwahrscheinlich gekommen war. Der Wind zerrte an meinen Haaren und ich umschlang meinen Körper, da ich mich wenigstens etwas vor dem kühlen Wind schützen wollte. Denn der dünne Mantel, den ich trug, vermochte die Kälte nicht von mir fernzuhalten. Einige Meter von mir entfernt, lag ein älterer Mann auf dem Boden. „Ein Städtler?“ fragte ich mich. Er lag in einer riesigen Blutlache und als ich näher an den Toten heran getreten war, konnte ich sehen, dass seine Kehle durchtrennt wurde. „Der arme Mann. Was für Monster, können zu so etwas fähig sein?“ flüsterte ich und schaute mich weiter um.
Urplötzlich begann der Boden unter meinen Füßen zu beben. Ich hatte erst gedacht, dass vor Angst meine Knie weich geworden waren, aber es war der Boden der unter mir nachgab. Er bewegte sich auf und ab, und ich bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Ich sprang zurück und beobachtete die Erde. Ein riesiges Loch machte sich vor mir breit, und ganz unerwartet kam ein Skelett heraus geklettert. Doch es war nicht das einzigste. Hinter mir sprang eines aus einem Gebüsch hervor und griff mich an.
„Mist, was soll ich tun? Versuchen sie so zu erledigen oder...? Das fängt ja schon mal gut an!“ Ich wich ihren Schlägen und Tritten so gut ich konnte aus. Ich war wahrlich nicht die Sportlichste, allerdings waren ihre Waffen so schwer und groß, dass sie einige Zeit brauchten, bis sie zuschlagen konnten. Und so war es für mich ein Kinderspiel, ihren Hieben auszuweichen. Doch es war trotzdem nicht so einfach, da sie immerhin zu zweit waren und genau wussten, wie sie zusammen zu kämpfen haben. Doch plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem linken Arm. Ich schrie kurz auf und drehte mich um. Ein dritter, der eine schwere Keule in der knochigen Hand hielt, war hinzu gekommen. „Ihr könnt wohl auch nur mit mehreren auf einen gehen, was!? Aber wie ihr wollt!  Ihr seid scheinbar Lebensmüde!" rief ich und trat einem der Knochenmänner gegen das Bein, sodass es sich von seinem restlichen Körper löste. Dann stieß ich die anderen Beiden von mir fort und konzentrierte mich. Schon nach kürzester Zeit entstand ein kleiner blauer Energieball in meiner Hand. „Der wird wohl für euch reichen!“ murmelte ich und schleuderte ihn auf die Skelette, die gerade wieder auf mich zu gerannt kamen. Ein dumpfer Knall war zu hören, und von den Toten waren nichts weiter als einige Knochensplitter und Asche übrig.
Nun drehte ich mich um und wandte mich dem anderen Untoten zu. Er lag im Dreck und versuchte aufzustehen. „Du wirst niemandem mehr etwas tun!  Zwar bist du nur eine unschuldige Marionette und führst die Befehle deines Herrschers aus. Aber wenn ich dich gehen lassen würde, dann würdest du schon bald erneut morden, so sehr stehst du unter seinem Bann. Es tut mir Leid...“ flüsterte ich leise, bevor ich das willenlose Geschöpf Draculas erledigt hatte.  Für einen Moment erschrak ich vor meiner Grausamkeit, denn ich wollte auf keinen Fall so ein hasserfülltes Wesen wie der Graf werden. Ich war auch nicht aus Rache her gekommen, sondern einzig und allein deshalb, weil ich den vielen unschuldigen Menschen helfen wollte. Zwar hatte ich auch das Verlangen, meine Familie und meine Freunde zu rächen, doch wenn ich Dracula nur aus Rachsucht töten wollte, dann wäre ich wohl nicht besser als er. Denn dann wäre ich ebenfalls ein blutrünstiges Tier!  Aber es gab nun mal keinen anderen Weg, um die Betroffenen zu retten.

Ich hatte mich mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt und mich zu Boden sinken lassen, die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gelegt. Langsam aber sicher begann ich meine Kopfschmerzen wieder zu spüren. In dem ganzen Trubel hatte ich sie regelrecht vergessen. Doch jetzt, wo sich mein Herzschlag wieder normalisiert hatte und mein Adrenalinspiegel abnahm, kehrte auch die Müdigkeit zurück, die sich wie ein Schleier über meine Gedanken legte. Mit einem leisen Seufzer rappelte ich mich wieder auf, stieß mich vom Baum ab und ging weiter geradeaus. Nachdem ich etwa zwanzig Minuten wachsam durch den Wald gegangen war, erreichte ich eine tiefe Waldschlucht. 'Die Teufelsschlucht', mit diesem Namen, war sie auf der Landkarte eingezeichnet! Ein smaragdgrün schimmernder Fluss, floss durch den Schlund und auf einem vorspringenden Felsbuckel, stand ein mächtiger Baum mit vielen unzähligen kleinen Blättern, die ständig in Bewegung waren, obwohl sich hier oben kein Windchen rührte. Ich hielt Ausschau nach einer Brücke die zur anderen Seite führte, doch ich konnte weit und breit einfach keine finden. „Wie soll ich denn bloß da rüber kommen?“ fragte ich mich und verschränkte die Arme. Nun erspähte ich eine lange riesige Buche, die quer über dem Spalt lag. Sie musste wohl bei einem starken Sturm entwurzelt worden und über den Spalt gekippt sein. Denn die Wurzeln ragten zum Teil noch in ein tiefes Loch in der Erde. Der Stamm des Baumes war nicht sonderlich breit und das Holz war sehr glatt, sodass man sehr leicht darauf ausrutschen konnte, aber es gab keine andere Möglichkeit, die gegenüberliegende Seite zu erreichen. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Wenn ich jedoch hinunter fallen sollte, dann...“ ich schüttelte heftig den Kopf, um diesen angst einflößenden Gedanken zu vertreiben. Vorsichtig stellte ich mich auf das Gehölz und balancierte einige Meter darüber. Bei jeder Bewegung die ich machte, schaukelte der Stamm leicht hin und her. Das machte es außerordentlich schwierig, zu der anderen Seite zu gelangen. Plötzlich erfasste mich eine Windböe von der Seite und ich verlor das Gleichgewicht, schlang mich aber noch im letzten Augenblick um einen Ast und zog mich wieder hoch. Mein Blick fiel in die Tiefe und mir kam die Erkenntnis meiner Lage.
„Oh mein Gott!  Da unten gähnt der Abgrund, die Hölle, die Verdammnis!  Ich muss schnell die andere Seite erreichen!  Und wenn es doch mein Schicksal ist, zu ertrinken, dann doch bitte in sauberem und glasklarem Wasser...“ quiekte ich hysterisch und kratze mit den Fingernägeln über das Holz. Ich wollte weiter über das Baumgewächs kriechen, doch ich konnte mich einfach nicht bewegen. Mein Körper war wie gelähmt – vor Angst. Mein Körper zitterte unkontrollierbar, während meine Beine im Wind vor sich hin schaukelten.
„He, was machst du denn da?“ ertönte plötzlich hinter mir eine Stimme, die wohl einem jungen Mann gehörte. Ich wagte es gar nicht, mir über die Schulter zu sehen. Heute schien ganz und gar nicht mein Glückstag zu sein. Mir blieb nur zu hoffen, dass dieser Jemand, keine bösen Absichten hatte. „Na, das sieht man doch!  Ich klettere auf die andere Seite." antwortete ich schnippisch und konzentrierte mich wieder drauf, nicht hinunter in die Tiefe zu stürzen. Hinter mir konnte ich ein leises, amüsiertes Lachen hören. „Dann beeile dich mal ein wenig damit!  Andere Leute möchten auch nochmal die andere Seite erreichen. Ich habe nicht ewig Zeit!“ Nun wurde ich neugierig, wer denn diese freche Person hinter mir war. Ich drehte leicht den Kopf zur Seite, dann schaute ich aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber. Er besaß kurzes schwarzes Haar und stechend blaue Augen, er schien wohl nicht viel älter zu sein, als ich. Er hatte eine sehr helle Haut, doch er sah nicht so aus wie die meisten Vampire. Doch was sollte denn ein Mensch hier treiben, es war sehr gefährlich!  Mir war nun natürlich klar, warum die ganzen Menschen im Waldstück vor Târgoviste verschwanden, aber es schien mir so, als ob der Junge nicht ungewollt hier war. Er kannte sich wohl gut aus und hatte etwas wichtiges zu erledigen, war er vielleicht doch ein Vampir? Aber es war allgemein bekannt, dass Vampire nur bei Dunkelheit aus ihren Verstecken kamen, warum sollte mir also einer bei Tag begegnen?
Der Gedanke, dass der Fremde eventuell doch ein Vampir sein könnte, jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.
„Ich muss so schnell wie möglich zur anderen Seite bevor der noch auf dumme Ideen kommt!  Vielleicht denkt er ja, ich sei auch ein Vampir. Ich war schon immer etwas bleich um die Nase herum.“ schoss es mir durch den Kopf und langsam setzte ich mich in Bewegung. Ich konnte auf einmal ein genervtes Seufzen hören, dann begann plötzlich der Baumstamm fürchterlich an zu wackeln und ich bemerkte, wie ich schleppend von dem Gehölz rutschte. Jemand schnappte sich aber kurzerhand mein Handgelenk und legte mich über seine Schulter, bevor er in einen Laufschritt verfiel. Zuerst entwich mir ein Quietschen, das sich fast wie eine Mischung aus Meerschweinchen und Sirene anhörte. Dann wollte ich irgendetwas sagen, jedoch entwich mir nur ein unverständliches, undefinierbares Gestotter.
„Ich muss bis vor Anbruch der Dämmerung aus diesem Wald verschwunden sein, und dir rate ich das gleiche!  Bei Dunkelheit ist es hier noch gefährlicher als bei Tag, außerdem werde ich gesucht und deshalb habe ich es so eilig, verstehst du?“ erklärte der seltsame Junge nebenbei. Sein Atem ging trotz des Tempos, welches er vorlegte und meinem zusätzlichen Gewicht, langsam und entspannt.
Nach einiger Zeit blieb er stehen. Nicht weil er erschöpft war, sondern weil wir die andere Seite erreicht hatten. Er hatte mich vor sich auf einem riesigen Stein abgesetzt, während er sich prüfend umsah.
Beinahe etwas ängstlich behielt ich den Schwarzhaarigen im Auge, bereit sofort auf zuspringen und weg zulaufen, sollte der schlimmste Fall eintreten. Schweigend ging er ein paar Schritte davon, blieb dann aber stehen – bewegungslos – gleichzeitig starrte er zu Boden. Schweigend und mit gesenktem Kopf, die Augen geschlossen, verharrte ich. Ich ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie aber kurz darauf wieder. „Ich hoffe, dass ich heute nicht noch mehr Leuten begegne, die mir den Weg versperren und mich aufhalten!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und begann davon zugehen. Überrascht öffnete ich die Augen wieder. Ich hob den Kopf und blickte zu dem Jungen hinüber, der mittlerweile ein gutes Stück von mir entfernt war.


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