„Wach auf!“ flüsterte eine ruhige Stimme. „Wach auf, es wird Zeit.“, wiederholte sie immer und immer wieder. Meine Augen blieben geschlossen, ein Kribbeln durch fuhr meinen Körper. Ich spürte seine Hände auf meiner Haut, wie sie auf- und abwanderten, wie sie tasteten, wie sie suchten. Eine wohlige Wärme füllte meinen leeren Magen aus, es war ein schönes Gefühl. „Wach endlich auf du Träumerin!“ flüsterte er mir ins Ohr, doch der Ton seiner Stimme wurde lauter und schroffer. Ich drehte mich auf den Rücken und öffnete meine Augen. „Stela, wir müssen uns langsam auf den Weg machen. Denn wir müssen vor morgen Früh unseren nächsten Rastplatz erreicht haben, und der ist nicht gerade einen Katzensprung von hier entfernt.“ Langsam setzte ich mich auf und rieb mir als erstes verschlafen die Augen. Nachdem ich mir noch einige Male durch die Haare gestrichen hatte, stand ich schließlich auf. „Können wir losgehen oder?“ Noch ganz schläfrig zuckte ich mit den Schultern, am liebsten wäre ich noch etwas liegen geblieben. Doch ich hatte eine wichtige Aufgabe, und auf mehr Schlaf musste ich wohl oder übel verzichten. „Gut,... wir können gehen, wenn du magst.“ entgegnete ich mich müde und gähnte. „Ich begleite euch noch bis zum Ausgang!“ rief Bogdana und lief vor. Hastig setzte ich einen Fuß vor den anderen und schloss zu den anderen Zweien auf. „Ich hoffe du hast gut geschlafen und bist gut in Form. Der heutige Weg wird sehr anstrengend werden.“ Ich nickte leicht.
Ein bitteres Lächeln stahl sich auf Bogdanas Lippen als sie sagte: „Ich finde es wirklich schade, dass ihr schon wieder gehen müsst. Es hat mich sehr gefreut dich kennenzulernen, Stela.“ „Die Freude ist auch auf meiner Seite.“ „Danke das wir die Nacht über hier Schlafen durften. Das war wirklich sehr nett von dir!“ sagte Alin und sah der Fee kurz in die Augen. Er reichte ihr die Hand und sprach dann: „Wir sehen uns sicher bald wieder, Bogdana. Bis bald...“ „Auf wiedersehen.“ flüsterte ich leise und folgte dem Jüngling hinaus. „Und Alin, ich hoffe, dass du mir ja gut auf Stela aufpasst!“ rief uns das blasse Geschöpf hinterher. Er schaute sich kurz über die Schulter und lächelte.
Die Sonne war über dem Gebirge im Südwesten aufgegangen und die ersten Strahlen wärmten meine kühlen Glieder. Der Zentralstern ließ die Wälder in einem zarten Gold erstrahlen, und der Wind wehte überwiegend schwach durch die Bäume. Der Himmel im Horizontbereich war rot, während der Himmel in Richtung Zenit blau erschien. Fasziniert blickte ich in den Himmel, während der Wind leicht meine Haare herumwirbelte. "Ist der Himmel nicht wunderschön?" sprach ich eher an mich selbst gerichtet. "Ich fände es viel schöner, wenn wir vor morgen Früh in der Villa de lune wären." "Villa de lune? Ist diese Villa noch weit von uns entfernt?" Alin seufzte. "Ein Tagesmarsch von hier ist die Villa entfernt..." "Ein ganzer Tag? Das heißt wir müssten auch bei Nacht marschieren?" fragte ich mit leiser und brüchiger Stimme. Der Junge zuckte mit den Schultern. "Wir könnten es vielleicht schaffen vor Mitternacht da zu sein.. Ab Mitternacht, ist es hier nämlich am gefährlichsten. Deswegen wäre es schon gut, wenn wir uns ein wenig beeilen würden." "Ich brauche wahrscheinlich aber viel länger... Oder ich würde tot umfallen, wenn wir den Weg in einem Tag zurücklegen würden." Unter normalen Umständen wäre dieser Satz wohl witzig gewesen, aber meine Stimme klang völlig ernst, sodass jeglicher Witz der Aussage verloren ging. "Wir müssen noch eine Schlucht durchqueren. Den Höllenschlund." murmelte Alin, während er begann davon zu gehen. "Och bitte nicht noch eine Schlucht!" nuschelte ich und schloss zu Alin auf. Nach etwa knapp sechs Stunden kamen wir endlich an dem Abgrund an. Die Sonne stand nun nahezu senkrecht über unseren Köpfen und sie brannte erbarmungslos auf uns herab. Die Hitze verstärkte sich sogar noch ein wenig durch die Reflexion des Wassers, das weit unten durch den Spalt floss. "Ich hätte nicht gedacht das es heute noch so warm werden würde." flüsterte Alin eher sich selbst zu. Ich nickte zustimmend, dann schüttelte ich kurz meine Haarpracht und im Anschluss an meine Haare ebenfalls meinen Körper. "Nach diesem Marsch werde ich noch eine ganze Weile Muskelkater haben..." dachte ich mir. Ich sah Alin kurz in die Augen, dann warf ich einen Blick in die Tiefe und mir fielen gleich einige unterschiedlich hohe Steinsäulen auf. "Wofür sind denn diese Säulen da?" fragte ich nach kurzem Zögern. "Zum rüberkommen natürlich. Das soll so gesehen eine Art Treppe sein..." "Das ist aber eine komische Treppe. Außerdem sind die Säulen viel zu klein und die Abstände viel zu groß! Da sind bestimmt schon einige runtergefallen..." Alin zuckte kurz mit den Schultern. "Ich werde vorgehen, Stela." Mit diesen Worten nahm Alin etwas Anlauf, dann sprang er auf die erste Stütze und von dort aus auf die zweite, dann auf die dritte. "Jetzt du!" rief er und winkte mich zu sich. "Ach ja Stela, was ich vergessen habe dir zu sagen! Du darfst auf keinen Fall daneben Springen! Denn das ist kein Wasser!" "Wa... Was?" fragte ich unsicher und sah erneut hinunter. "Ich weiß nicht was es ist, aber wenn du dort hinein fällst, dann löst du dich innerhalb von ein paar Sekunden auf." "Du... Du machst mir ja nicht gerade Mut!" rief ich und biss mir anschließend leicht auf die Lippe. "Am besten kletterst du erst auf diese Stufe, und von dort aus springst du direkt auf diese hier." sagte Alin und hopste auf die nächste Strebe. Ich schloss die Augen für einen Moment, dann kletterte ich auf die erste Säule. Im Anschluss fixierte ich die dritte, auf die ich von dort aus Springen wollte. Sie war zwar ein ganzes Stück weit unter mir, doch ich wollte es wagen und die zweite Stufe überspringen. Ich nahm noch einmal tief Luft, dann stieß ich mich von dem Rand der Säule ab und stürzte mich in die Tiefe. Für einen ganz kurzen Augenblick schloss ich erneut die Augen und ich hielt die Luft an. Ich stieß einen lauten Schrei aus als ich bemerkte, dass ich die Stütze nur knapp verfehlen würde. Doch kurz bevor ich auf der Oberfläche der Flüssigkeit aufzuprallen drohte, umschlang plötzlich jemand meinen Körper und schwang sich mit mir zu der anderen Seite. Selbst als wir sicher auf festem Boden standen, hielt er mich noch immer fest umschlungen in den Armen. Ich spürte seinen kühlen Atem in meinem Nacken und seine Hände ruhten auf meinen Oberarmen. Ich fühlte mein Herz in meiner Kehle vibrieren, meine Körperhärchen richteten sich auf und ein Zittern durchfuhr meinen Leib. Seine Finger wanderten zu meinem Mund und seine Lippen näherten sich langsam meinem Ohr. Sanft legte er seinen Kopf auf meine Schulter und dann flüsterte er: "Du solltest ihm nicht vertrauen! Er führt nichts gutes im Schilde..." Ich wollte mich umdrehen und der Person hinter mir in die Augen schauen, doch es gelang mir einfach nicht, da er mich für einen kurzen Moment noch fester ans sich drückte. Doch schon nach kurzer Zeit, lockerte er seinen Griff wieder und ich drehte mich sofort um. Der seltsame Mann aber war auf einmal verschwunden. Ich schaute mich um, doch er war nirgends zu sehen. "Meinte er Alin damit?" fragte ich mich. Ich legte sanft meine Hand auf das Ohr, in das er mir hineingesäuselt hatte.
Ich fuhr herum, als ich ein Geräusch von kullernden Steinen hörte. Als ich meinen Begleiter ansah, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich versuchte mein schlechtes Gefühl loszuwerden und legte meine Hand auf den Brustkorb, ganz als ob es helfen würde, mein wild pochendes Herz zu beruhigen. Mit einer Mischung aus Leid und Schreck im Blick schaute ich den Schwarzhaarigen an, der leise neben mich getreten war. "Ist alles in Ordnung? Wer war das?" Als er mich ansah, bemerkte er meine Unsicherheit und warf mir deswegen ein aufmunterndes Lächeln zu, welches jedoch kläglich misslang. "Ja, mir geht es gut." Ich unterbrach mich kurz. "Ich weiß nicht wer das war. Außerdem dachte ich eher, dass du mir das beantworten könntest." Alin drehte sich weg und begann davon zu gehen. "Wir müssen uns beeilen, wenn wir schnell an unserem nächsten Ziel ankommen wollen." sprach er währenddessen und ignorierte meine letzten Worte einfach.
Ich ging einige Meter hinter Alin und betrachtete gedankenverloren, wie sein schwarzes Haar leicht hinter ihm herwehte. Angestrengt versuchte ich, irgendetwas Schönes zu finden, an das ich mich hätte klammern können, doch mir wollte zunächst nichts einfallen - immer wieder schossen mir die Szenen vom vorgestrigen Tag, meiner Familie und Bilder von Vampiren durch den Kopf - bis meine Gedanken endlich aufhörten zu springen. Ich sah mich und meine Familie. Wir waren unterwegs, irgendwo, unsere Haare schimmerten im rötlichen Licht der untergehenden Sonne. Wir alberten herum, unterhielten uns, lachten. Ein bitteres Lächeln huschte auf meine Lippen.
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