Carries komische Werkstatt
  Auf der Flucht 4
 


Mit einem dumpfen Laut schlug ich auf dem Boden auf, und in diesem Moment durchzuckte ein seltsamer Schmerz meine Schläfen und Glieder – nur für einen kurzen Augenblick. Mein Körper wurde taub, ich spürte ihn nicht mehr und auch das Bewegen war für mich unmöglich. Es war beinahe so, als ob ich die Kontrolle über mich verloren hätte. Meine Augen erblicken Cazie, die leblos neben mir lag und sich nicht mehr rührte. Ich wollte etwas sagen, doch meine Sinne schwanden, meine Augenlider fielen zu und ich versank in einer unheimlichen Schwärze.

Ein seltsames Rascheln und Poltern, riss mich in die Realität zurück. Als ich den Kopf hob und schwerfällig versuchte die Augen zu öffnen, kitzelte eine seltsame Wärme meine Nase. Nur verschwommen und vage, konnte ich die Konturen eines Zimmers erkennen, das beinahe völlig abgedunkelt war – lediglich ein paar fahle Lichtstrahlen kämpften sich ihren Weg durch das Dunkel.
Mir schwante böses. War ich etwa erneut in diesem schrecklichen Haus?
Mein Kopf dröhnte zunehmend und ich hatte das Gefühl, als würde ein ganzes Hammerwerk in meinem Schädel arbeiten. Obwohl ich lange ohne Bewusstsein gewesen sein muss, war ich trotzdem erschöpft und schwach, meine Gliedmaßen hatten ein Eigenleben entwickelt; zuckten und zitterten einfach vor Anspannung und Aufregung.
Noch immer waren meine Sinne nicht komplett da, sie kehrten nur schleppend zu mir zurück. Meine Hand- und Fußgelenke schmerzten und ich wollte mich bewegen, doch irgendetwas hielt mich zurück. Erst nach wenigen Augenblicken realisierte ich, dass ich gefesselt war und offensichtlich auf einer Couch oder ähnliches lag. Unsicher stemmte ich mich mit den Schultern in eine sitzende Position auf, wobei jeder einzelne Knochen in meinem Körper knackste, und ich ließ meinen Blick langsam durch den Raum schweifen. Niemand war zu sehen und die Geräusche waren auch schon längst verstummt. Doch wer oder was, hatte diese Laute verursacht und kamen sie überhaupt aus diesem Zimmer?
Plötzlich schwang hinter mir die Tür mit einem lauten Knall auf und instinktiv ließ ich mich zurück auf die Couch sinken. Angstschweiß lief meine Schläfen hinab, während ich mich Schlafen stellte, in der Hoffnung, die Person würde dann wieder verschwinden.
„Ob das der Killer ist? Er muss uns gestern Abend hierher gebracht haben, nachdem wir abgestürzt waren. Was er wohl mit Cazie angestellt hat, ob es ihr gut geht? Und was ist mit Camilla? Konnte sie entkommen?“ dachte ich still in Gedanken, während ich meine Ohren spitzte. Ich konnte hören, dass die Person gemütlich durch das Zimmer ging und sich schließlich seufzend auf die Armlehne der Couch setzte. Auch wenn die Gestalt genau neben mir saß, blieb ich ruhig und versuchte die Angst zu unterdrücken und meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Was jetzt wichtig war ist, dass ich mir irgendwie Zeit verschaffte und heraus fand, was mit Cazie passiert war; wo sie sich befand und ob sie überhaupt noch lebte. Ich brauchte etwas mehr Zeit, um die Fesseln los zu werden und mich dann heimlich aus dem Staub zu machen.
„Mit jeder falschen Bewegung könnte ich mich jetzt verraten, aber der Killer muss denken, dass ich noch bewusstlos bin!“ schoss es mir durch den Kopf und für einen Moment kniff ich meine Augenlider noch etwas fester zusammen. Ich musste ruhig bleiben und einen kühlen Kopf bewahren.
„Du brauchst dich nicht ohnmächtig zu stellen, ich habe gesehen, dass du wach bist!“ vernahm ich plötzlich die Stimme einer Frau, die ich nur zu gut kannte. Was hatte das zu bedeuten? War ich nun gerettet oder hatte diese Person mir die ganze Zeit über etwas vorgespielt? Ihre Stimme klang boshaft und gleichgültig, dies hatte sicherlich nichts gutes zu bedeuten.

Aber vielleicht hörte ich auch nur die Flöhe husten. Zwar hatte sie sich die ganze Zeit über mehr als seltsam benommen, doch das hieß ja nicht, dass sie irgendwelche bösen Absichten hatte. Vielleicht war sie einfach nur so aufgebracht und verzweifelt, das sie dermaßen verrückt spielte.
„Sie kann unmöglich etwas damit zu tun haben, das ergibt alles überhaupt keinen Sinn!  Der Mörder ist ein Mann, das weiß ich, und ich glaube nicht, dass sie zuvor schon einmal hier war. Sie hat mit der ganzen Sache bestimmt wirklich nichts zu tun, das glaube ich einfach nicht!“
Ich war mir sicher, dass der Mörder sie geschnappt und hergebracht haben musste. Wahrscheinlich konnte sie sich befreien und wollte mir nun helfen. Doch warum klang ihre Stimme so boshaft und gleichgültig? In einer solchen Situation sollte sie eigentlich panisch und besorgt klingen. Was war bloß los mit ihr?
Innerlich schüttelte ich mit dem Kopf, um all diese Gedanken los zu werden. Unter keinen Umständen sollte sie bemerken, was in mir vorging und auch, das ich an ihr zweifelte.
„Für ihr Verhalten gibt es sicherlich einen guten Grund. Sie ist meine Freundin und es ist einfach dumm von mir, das ich solche Dinge in Betracht ziehe und ihr misstraute.“ dachte ich stumm und öffnete meine Augen. Langsam setzte ich mich auf und mein Blick wanderte zu meiner blonden Freundin. Ein sanftes Lächeln huschte auf meine Lippen, doch dieses verschwand schnell wieder, als ich diesen kaltherzigen Ausdruck in ihren Augen sah. Mein Herzschlag hatte sich gerade wieder normalisiert, doch nun verschnellerte er sich wieder. Ihr Anblick war irgendwie unheimlich, es schien mir so, als ob sie eine vollkommen andere Person sei.
Es herrschte eine unangenehme Stille, nur der Wind war zu hören, der heulend um das Haus brauste und die Äste von Bäumen gegen die Holzbretter vor den Fenstern peitschte. Eine Gänsehaut überkam mich, als erneut Zweifel in mir aufkamen. Ich wollte ihr nicht misstrauen, doch ich wurde dieses ungute Gefühl einfach nicht los.
„Ist dir etwas passiert, Camilla? Warum bist du einfach abgehauen und hast Cazie und mich zurückgelassen? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!“ sagte ich trocken, in der Hoffnung, Cami würde mir eine gute Erklärung abgeben und alles würde sich bloß als ein Hirngespinst von mir herausstellten. „Wie du sieht geht es mir gut.“ antwortete sie knapp und fuhr sich mit den Fingerspitzen durchs Haar. „Wurdest du auch von dem Mörder hierher gebracht? Du musst mir die Fesseln abnehmen und dann sollten wir Cazie finden und schleunigst verschwinden!“ Camilla lachte schrill auf und hielt sich wie eine Dame, die Hand vor den Mund. Erschrocken entwich ein harter Atemzug meiner Kehle und ich sah sie irritiert an. „Was soll das? Helf mir endlich!“ rief ich bestürzt und griff mit meinen gefesselten Händen nach meiner Freundin. Das Lachen der Blonde verstummte und sie sprang von der Lehne der Couch auf, um meiner Berührung auszuweichen. „Tut mir leid, aber ich fürchte, das kann ich nicht tun.“ „Was? Warum nicht?“ „Weil Camilla sonst großen Ärger mit mir kriegen würde, denn immerhin hat es lange genug gedauert, bis sie dich hierher bringen konnte.“ sagte plötzlich die Stimme eines Mannes, die ich am liebsten nie wieder gehört hätte. Fassungslos sah ich mir über die Schulter und unmittelbar hinter mir, stand dieser Kerl, mit dem langen schwarzen Haar und dem dunklen Mantel, dessen Kragen sein Gesicht verhüllte. Seinen Worten nach zu urteilen, waren meine Zweifel also berechtigt. Doch warum, warum tat Camilla mir soetwas an?
„Was zum Teufel wollt ihr von mir und wer bist du? Ich habe euch überhaupt nichts getan!“ schrie ich verzweifelt und mit Tränen erstickter Stimme. „Du bist so ein törichtes Miststück!  Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich schon längst vergessen hast. Aber ich kann deine Erinnerungen wiederholen!“


Erschrocken rutschte ich auf der Couch ein Stück zurück und versuchte gleichzeitig unbemerkt meine Fesseln zu lockern – was mir jedoch nicht gelang. Das raue Seil um meine Handgelenke blieb weiterhin stramm, und durch meine Bewegungen hatte es die Haut von meinen Knöcheln gerieben. Mit schmerzverzerrtem Gesicht biss ich mir auf die Unterlippe, während ich Camilla einen hasserfüllten Blick zu warf.
„Ich habe noch nie jemandem etwas böses getan, also was wollt ihr von mir? Selbst wenn ihr mich jetzt tötet, werdet ihr bald im Knast sitzen, denn Adan ist los gezogen um Hilfe zu holen und die Polizei wird schon bald hier eintreffen!“ rief ich mit bebender Stimme. Auch wenn ich nicht wusste, ob Adan tatsächlich schon in diesem Ort angekommen war, so musste ich es ihnen einfach sagen. Ich wollte sie verunsichern oder zumindest etwas Zeit schinden, denn ich war mir sicher, dass sie mit mir bald kurzen Prozess machen würden.
Ein mulmiges Gefühl überkam mich, als dieser seltsame Mann in Schwarz, Camilla ein selbstsicheres Lächeln zu warf. „Wenn du den komischen Kerl in der karierten Jacke und dem roten Auto meinst, dann wird er mit Sicherheit keine Hilfe mehr holen!“ grinste er hämisch, während das fahle Sonnenlicht unheimliche Schatten auf sein Gesicht warf. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“ kreischte ich wild und zerrte nun noch mehr an meinen Fesseln. Ich konnte es nicht glauben; hatten sie ihm tatsächlich etwas angetan? Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung machte sich in mir breit, während ein leises Knurren meiner Kehle entwich. „Noch haben wir ihm nichts getan, also sei still!  Wir haben ihn nur nebenan im Zimmer schlafen gelegt, damit er nicht zu viel Radau macht. Wenn du willst kann ich ihn her holen, dann könnt ihr gemeinsam sterben und seid nicht so allein.“ sagte die Blonde bissig und nun formten sich auch ihre Lippen zu einem Grinsen.
Zitternd sank ich in mich zusammen. Ich war heilfroh, dass Adan noch am Leben war, doch auf der anderen Seite verlor ich all meine Hoffnung, da wir nun auf uns allein gestellt waren und uns niemand zur Hilfe kommen würde. Ich spürte, wie eine seltsame Hitze meinen Körper durchströmte, während meine Augen von Tränen geflutet wurden. „Ich weiß zwar nicht, was ich euch getan haben soll, aber allem Anschein nach wollt ihr euch an mir rächen. Jedoch verstehe ich nicht, was Adan, Cazie und die anderen Mädchen damit zu tun haben. Sie landeten nur durch einen Zufall hier, warum seid ihr also auch hinter ihnen her? Was haben sie euch getan?“ fragte ich mit Tränen erstickter Stimme und sah dabei zu, wie der seltsame Kerl sich an einem der Regale zu schaffen machte. Flüchtig sah er mich an, bevor er mir antwortete: „Ich hasse alle Menschen!  Ihr könnt irgendwie nur so richtig glücklich sein, wenn ihr jemandem Schaden zugefügt oder ein Leben zerstört habt. Ihr wisst doch die vielen Kleinigkeiten in einem Leben gar nicht zu schätzen, deswegen habt ihr es nicht verdient zu leben!  Es sind solche Leute wie du, die diese Welt mit ihrem Egoismus verpesten und denen es egal ist, wie es anderen Menschen bei ihren Taten ergeht. Aber ich muss zugeben, am Anfang wollte ich nur an dir meine Rache befriedigen. Allerdings begegnete ich immer und immer wieder solchen Leuten wie dir. Ich dachte, ich könnte all diesen Demütigungen der elenden Ratten entfliehen, indem ich mich hier versteckte, doch verirrten sich häufig Menschen hierher, die ich einfach nicht am Leben lassen konnte. Wenn ich ehrlich sein soll macht es mir mittlerweile sogar großen Spaß, die ängstlichen Gesichter zusehen und das wimmern meiner Opfer zuhören. Ich bestimmte, ob sie leben oder sterben, da fühlt man sich wie ein Gott!“

Entsetzt über die Worte des Killers, weiteten sich meine Augen. Was hatte ich ihm bloß getan, dass er mich so sehr hasste und wer war er überhaupt? Zwar erinnerte mich seine Stimme und die Züge seines Gesichts an jemand ganz bestimmtes, doch diese Person weilte schon lange nicht mehr unter uns.
„Ich lasse euch zwei einmal für eine Weile allein und schaue, ob dieser Adan schon wieder bei Bewusstsein ist. Ich bringe ihn dann später her.“ meinte Camilla und steuerte auf die alte Holztür zu. Als sie den Raum verlassen hatte, machte der Mörder auf dem Absatz kehrt und kam auf mich zu. In seiner Hand hielt er eine Zeitung, die schon etwas älter zu sein schien, denn das Papier war völlig vergilbt und modrig. „Das hier sollte deine Erinnerungen an mich zurück holen. Schau dir die Titelseite an!“ sagte er mürrisch und gleichzeitig in einem Befehlston, nachdem er das Tagesblatt vor mich auf die Couch geworfen hatte. Ich tat dies, was er mir befahl und für einen Augenblick hielt ich den Atem an, als meine Augen über die Textzeilen und Fotos flogen. 'Junge stirbt bei dramatischen Hausbrand' hieß die Schlagzeile und ich sah, dass die Zeitung bereits drei Jahre alt war. Nur zu gut konnte ich mich an diesen Tag vor drei Jahren erinnern. Es war wohl eines der schlimmsten Erlebnisse in meinem ganzen Leben.
„Ich war mit meinen Eltern beim Einkaufen, als wir von einer Nachbarin einen Anruf bekamen. Sie sagte, in unserem Haus wäre ein Feuer ausgebrochen und ohne zu zögern fuhren wir zurück. Als wir zu Hause angekommen waren, stand unsere Bleibe schon völlig in Flammen. Die Feuerwehrleute hatten große Schwierigkeiten, diesen Brand unter Kontrolle zu kriegen, doch als sie ihn löschen konnten und das Haus betraten, fanden sie die verkohlte Leiche meines Bruders. Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren sagte man uns, dass es wohl Brandstiftung war – höchstwahrscheinlich ein Einbrecher, der Wertsachen stahl, meinen Bruder mit einem harten Gegenstand niederschlug und das Haus ansteckte. Da sich meine Eltern sicher waren, dass es sich bei dem Toten um meinen Bruder handelte, lehnten sie weitere Identifizierungen ab.“ erzählte ich und es war schmerzlich für mich, diesen Tag noch einmal in mein Gedächtnis zurückzuholen. Auch wenn ich mich nie sonderlich gut mit ihm verstand, so war er doch mein Bruder und ich vermisste ihn schrecklich. „Aber was hat der Tod meines Bruders mit dir zu tun?“ wollte ich schließlich wissen und plötzlich überkam mich ein schockierender Gedanke. Hatte er etwas mit seinem Tod zu tun? War er sein Mörder? Nein, das konnte nicht sein!  Es würde keinen Sinn ergeben!
Der Mann in Schwarz lachte dunkel auf. „Nun ja, der Junge der damals in den Flammen starb war nicht dein großer Bruder, denn dieser steht dir gerade gegenüber. Dieser Junge der starb, sah mir vom Aussehen her ziemlich ähnlich, also lockte ich ihn zu uns nach Hause, wo ich ihn niederschlug und ihm meine Kleidung anzog. Dann legte ich das Feuer und verschwand. Ich wollte mit allen Mitteln wissen, wie ihr mit meinem angeblichen Tod umgeht und da sagte ich zu Camilla, dass sie euch im Auge behalten solle. Also befreundete sie sich mit dir und erzählte mir dann, dass du schon nach wenigen Wochen aufhörtest um mich zu trauern, und ich immer mehr in Vergessenheit geriet. Da beschloss ich, mich an dir zu rächen. Als du noch Klein warst, habe ich dich über alles geliebt und als dein großer Bruder wollte ich dich vor allem Bösen beschützen. Doch als du älter wurdest, entwickeltest du dich zum Wunderkind der Familie und wurdest von allen geliebt und beneidet, während ich immer mehr zum Außenseiter wurde. Selbst unsere Eltern kümmerten sich kaum noch um mich, da immer nur DU im Mittelpunkt standest!  Allein du bist daran Schuld, dass mich niemand außer Camilla noch liebt und du hast mich zum Mörder gemacht, du verzogene und verwöhnte Göre!“

Verstört schüttelte ich immer wieder mit dem Kopf. War dieser blutrünstige Mörder tatsächlich mein Bruder? Egal wie oft ich mir seine Worte durch den Kopf gehen ließ, ich konnte einfach nicht glauben, was ich dort hörte. Es kam mir eher so vor, als befände ich mich in einem schlechten Horrorfilm oder in einer Comedy-Sendung, wo jeden Augenblick eine Menge Kameramänner aus ihrem Versteck kommen und sagen, sie hätten mich bloß reingelegt. Doch gleichgültig wie lange ich wartete, nichts der Gleichen geschah und mir wurde erst bewusst, dass dies hier die harte und absurde Realität war.
Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass mein Bruder einen solchen Hass gegen mich verspürte und das er sich von seiner Umwelt so allein gelassen fühlte. Doch warum sprach er nie mit meinen Eltern und mir darüber? Warum teilte er nicht mit, wie es ihm ging? Hatte die fehlende Kommunikation und die vielen Missverständnisse einen Mörder aus ihm gemacht?
„Ich habe unbewusst deinen Zorn auf mich gezogen. Ich gebe zu, dass ich keine sonderlich gute Schwester war – ich war egoistisch und habe immerzu an mich selbst gedacht, aber ich wusste nie, wie sehr du mich deswegen hasst. Ich wollte immer im Mittelpunkt stehen und der Liebling unserer Familie sein, aber ich hatte keine Ahnung, dass ich dich damit so verletzen würde. Ich habe dich damals für einen Blödmann gehalten, der nichts besseres zu tun hat, als anderen das Leben schwer zu machen, aber nach deinem vorgetäuschten Tod habe ich bemerkt, was ich an dir hatte. Ich kann mir vorstellen, wie hart es für dich gewesen sein muss, aber warum musstest du gleich soweit gehen? Ich kann einfach nicht verstehen, warum du diesen Jungen getötet und deinen Tod vorgetäuscht hast!  Du hättest mit uns reden können!“ versuchte ich meinem Bruder klar zu machen, in der Hoffnung, er würde verstehen und mich gehen lassen, jedoch blieb seine Miene weiterhin finster. Mit einem großen Satz hechtete er auf mich zu und zog mich an meinen Haaren zu sich hinauf. Wimmernd sah ich in seine kühlen Augen, die für einen kurzen Moment boshaft aufleuchteten. „Du weißt gar nichts!  Niemals könntest du dich in meine Lage hineinversetzen!  Selbst wenn ich gewollt hätte, hättet ihr mich nicht verstanden. Ihr hättet mich nicht ernst genommen, wie ihr es immer getan habt!  Vater und Mutter sagten immer, ich hätte mich bloß so aufgeführt, weil ich mich in einem schwierigen Alter befand, aber das war nicht so!  Denkst du etwa, ich bin aus Spaß immer von zu Hause ausgerissen? Das war mein Hilferuf, den wohl keiner hören wollte. Ich war euch allen egal und dafür werdet ihr jetzt büßen!“ brüllte er mit wütender Stimme. „Das stimmt nicht!  Mama und Papa, und auch ich, haben dich immer geliebt und das tun wir auch jetzt noch!  Du redest dir das alles bloß ein, also lass den Unsinn!  Hör zu, du hast überhaupt nichts davon, wenn du mich jetzt tötest. Früher oder später wird dir die Polizei auf die Schliche kommen und du wanderst in den Knast, und das nur, weil du dich unrecht behandelt fühlst? Du kannst nicht ewig davonlaufen und dich verstecken!“ „Halt den Mund!  Ich will nichts mehr davon hören, du Heuchlerin!“ schrie mein Bruder und schüttelte mich wild hin und her, bevor er mich kräftig zu Boden schmiss. Schmerzvoll schlug ich mit dem Kopf auf die harten Holzdielen, die bei dem Aufprall bedrohlich knarrten. Für einen Augenblick wurde es Schwarz vor meinen Augen und durch die Schmerzen stieg eine grässliche Übelkeit in mir auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt ich mir den Kopf und sah meinem Bruder hinterher, der wütend aus dem dunklen Raum stampfte.
„Bring den Kerl zu ihr und komm dann zu mir runter. Ich habe noch einiges mit dir zu besprechen!“ konnte ich ihn zu Camilla sagen hören und ich setzte mich besorgt auf.

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